DEKONSTRUKT



DEKONSTRUKT

Das Fragmentarische der SYSTEMFRAGE2011+ inspirierte Thomas Scheffer. Er kreierte mit Johannes Sienknecht aus der SYSTEMFRAGE2011+ die computergesteuerte, zufallsgenerierte Videoinstallation DEKONSTRUKT.
In DEKONSTRUKT werden zufällig vom Computer ausgewählte, kurze Interview- Passagen sämtlicher Videointerviews von SYSTEMFRAGE2011+ aneinandergereiht. Der Computer bestimmt Ausschnitt und Reihenfolge. So bleibt die Neutralität der Auswahl und die Gleichbehandlung der Interviews erhalten. Es entstehen in DEKONSTRUKT zwar zwischenzeitig auch Kakophonien und zusammenhangslose Gedankensprünge, es schliessen sich aber die Interview- Fetzen in weiten Teilen aufgrund des Zufalls zusammen und bilden eine ganz eigene Melodie bzw. Metaebene. Infolge dessen entsteht ein erweiterter Sinnzusammenhang.


©2013 Thomas Scheffer, Johannes Sienknecht

VIELE TITEL

Hommage an die Interviewten aus DEKONSTRUKT und SYSTEMFRAGE2011+

Videoprint auf Thermofolie, s/w, 
0,11 x 20,08 m.


© 2013 Thomas Scheffer

SYSTEMFRAGE2011+




SYSTEMFRAGE2011+

Unter dem Pseudonym 'videoatonale' entstand zwischen 26.08.2011 und 25.09.2013 das Online Projekt SYSTEMFRAGE2011+ mit 138 Videos und einer Lauflänge von 46 Stunden. Thomas Scheffer und Karina Lejeune ließen in SYSTEMFRAGE2011+ Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Alters sowie Aktivisten in bewusst ungeschnittenen Videointerviews und -statements zu Wort kommen, die sich für politische, menschliche und soziale Veränderungen einsetzten und engagierten. Sie kamen teilweise aus sozialen wie auch politischen Bewegungen oder waren Einzelkämpfer, die sich ein Spezialgebiet gesellschaftlicher Relevanz erarbeitet hatten.

Die Interviewten mit ihren selbst gewählten Themen und ihren Gedanken waren das Zentrum. videoatonale gab mit SYSTEMFRAGE2011+ denen ein Forum, die ansonsten womöglich nicht gehört worden wären.

© 2013 Thomas Scheffer, Karina Lejeune




Eine kurze kulturwissenschaftliche Analyse


Die Systemfrage2011+ entstand aufgrund einer eher zufälligen Begegnung,hat sich als Projekt in Form und Ausgestaltung inzwischen über zwei Jahre verstetigt. Zu Wort kommen Menschen unterschiedlichster persönlicher sowie beruflicher Hintergründe. Sie sind Laien, Aktivisten, Experten, Demonstranten, Berufstätige, ob spontan auf einer Demo, via Skype oder per ausführlichem Interview kommen sie ungeschnitten zur Wort. Intention der Macher sind Veröffentlichungen bzw. subjektive Meinungsäußerungen zu Themen gesellschaftlicher Relevanz aus der Mitte der Gesellschaft und der Wunsch Einzelner oder Gruppen, sich für gesellschaftliche Veränderung einzusetzen. Mittlerweile existieren insgesamt 138 Interviews mit geschätzten 150 - 160 Interviewpartnern und 46 Stunden Material. Bisher gibt es 970 Abonnenten und insgesamt 302. 870 Aufrufe auf youtube (Stand: 24.10.2013). Das kürzeste Interview dauert ganze 42 Sekunden, das längste 1 Stunde und 57 Minuten. Die Interviews sind mehrheitlich Spontaninterviews mit Einzelpersonen oder Gruppen. Außerdem gibt es ausführliche Einzelinterviews, die den Charakter von Experteninterviews haben.


Das inhaltliche Spektrum ist breit gefächert. Es reicht von Demonstrationen und Aktionen u.a. der Occupy-Bewegung (national und international), der Euro Krise und des Finanzsystems, einen Streik an der Berliner Charité, dem Bürgerforum, Mahnwachen als politische bzw. gesellschaftliche Protestformen. Darüber hinaus sind inhaltlich vertreten: Flüchtlings- und Asylpolitik, Kunstwerke, Polizeigewalt, Gentrifizierung, alternative Lebensweisen, Medien, Werbung, Atomkraft, erneuerbare Energien oder der Ausverkauf von Gemeingütern in Deutschland. Einen ganz besonderen Schwerpunkt bilden die Komplexe Armut und Hartz IV, bei den Klicks die absoluten Spitzenreiter. Diese Interviews offenbaren u.a. Einblicke in die Arbeitsweise von Jobcentern und den Kampf gegen Hartz IV.


Jenseits des Gängigen – unzensiertes Rohmaterial an die Öffentlichkeit


Die Interviews, die Art und Weise ihrer Publikation, eine freie Zugänglichkeit für die breite Öffentlichkeit entzieht sich üblichen Rezeptionsgewohnheiten unseren digitalen Zeitalters, in der dieses Material in der Regel verbraucherfreundlich aufbereitet wird. Aus einem halbstündigen Interview werden letztlich drei Beitragsminuten für Radio oder Fernsehen. Ausführliche Interviews für wissenschaftliche Forschungen schmelzen später zu wenigen Sätzen zusammen. videoatonale verweigert sich diesen gängigen journalistischen bzw. medialen oder wissenschaftlichen Verwertungsmechanismen. Es finden grundsätzlich keinerlei Bearbeitungs- und Verkürzungsprozesse statt. Es gibt keine Interpretation, keine Bewertung, keine Nachbereitung, keinen Schnitt, keine Zweckentfremdung. Die Interviews bleiben in ihrer Gänze, ihrer inneren Logik, im Aufbau unverändert bestehen. Ausgesuchte Einzelaussagen werden nicht aus dem Erzählkontext gerissen, um diese in einen anderen Rahmen einzufügen, der übergeordneten argumentativen Zwecken dient, etwa um einen Sachverhalt zu belegen oder weiter zu untermauern. „Das habe ich so nicht gesagt oder gemeint...“ als eine häufige Beschwerde von Interviewten, Prominenten, Beforschten sind so nicht möglich. Diese Personen fanden sich in ihren Intentionen, in ihren Kernaussagen später oft nicht wieder. Das ist bei videoatonale anders. Der alleinige Informationsgehalt der Videos steht im Vordergrund.


Personen, Aufbau, Struktur, Orte


Geführt wurden die Interviews auf Straßen, Plätzen, Demonstrationen, via Skype oder für die Einzelinterviews in einer eigens dafür geschaffenen Umgebung. Sie sind grundsätzlich nicht vorstrukturiert. Es gibt keinen vorgefertigten Fragenkatalog. Daher entwickelt sich das Erzählte oft in unerwartete Richtungen, dem stattgegeben wird. Die Titel einiger Interviews sind so erst im Nachgang festgelegt worden. Die Interviews werden bewußt nicht in vorgefertigte oder vorgedachte Richtungen gelenkt. Das letztliche Ergebnis kann als bewusst ungeschnittenes, schwer verdauliches, unzensiertes Rohmaterial qualitativer Sozialforschung bezeichnet werden. Dies ruft zuweilen Irritationen und auch reihenweise hämische Kommentare, v.a. auf youtube, hervor. Interviewer sowie Interviewte sind ausnahmslos (journalistische) Laien. Einige sind inzwischen medial geübt, da sie einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht haben. Sie stehen regelmäßig in der Öffentlichkeit, geben häufig Interviews. „Ähms“, sonstige Unterbrecher, Peinlichkeiten, Unsicherheiten oder längere Pausen werden bei videoatonale nicht herausgeschnitten. Dies verleiht dem Material eine ungewohnt hohe Authentizität. Dies und die Länge von bis zu 2 Stunden stellen hohe, andere, ungewohnte Anforderungen an das Rezeptionsverhalten. Vielfach ergibt sich daraus, v.a. bei den Einzelinterviews, ein monologisierender Vortragscharakter, der durch vereinzelte Nachfragen der Interviewenden unterbrochen wird. Das Gegenüber benötigt Konzentration und Durchhaltevermögen, ist am Ende zu spezifischen Themen jedoch bestens informiert. Vielfach bieten die Interviews Hilfe zur Selbsthilfe, etwa beim Thema Hartz IV. Die Interviewten sind Experten, die ein spezifisches, in der Regel unzugängliches berufliches Fach- bzw. Internawissen aus dem eigenen Erfahrungsschatz oder Institutionen wie z. Bsp. dem Jobcenter preisgeben. Nicht um sonst wird die interviewte Jobcenter Mitarbeiterin Inge Hannemann als Whistleblowerin bezeichnet.


Drauf los – offene Fragen


Die Experteninterviews mit Einzelpersonen finden grundsätzlich in einer neutralisierten Umgebung statt. Es sind keine Rückschlüsse darauf möglich, wo das Interview stattgefunden hat. Die Interviewenden sind in dieser Situation konsequent unsichtbar. Nachfragen sind in der Regel kurze Verständnisfragen. Der Rahmen des jeweiligen Interviews ist stets in gleicher Art und Weise ritualisiert. Als Einführung folgen die Angaben zum jeweiligen Tag, Jahr zur interviewten Person und zum Thema des Interviews: 1) „ Heute ist der ...“ 2) Vor mir sitzt ...“ 3) Was hast Du uns zu erzählen? Die Interviewerin liefert einen kurzen Impuls für diese Form des narrativen Interviews. Jetzt liegt es am Interviewten, den Interviewprozess zu gestalten und mit Leben zu füllen. Ähnliches gilt für die Interviews vor Ort, wie bei Demonstrationen, oder an von Aktivisten besetzten Orten. Die Interviewenden stellen stets offene Fragen, angelehnt an die klassisches journalistischen W's: „Was machst Du hier?“ „Warum bist Du heute hier?“ „Was hast Du uns zu sagen?“ Vorab wurden der jeweilige Kontext durch die Interviewenden eingeführt: Datum, Ort Anlass, ggf. kurze Hinweise zum jeweiligen Hintergrund.


Zum Schluß: Ein wenig Edmund Stoiber steckt in jedem von uns


Die berühmte Transrapid Rede von Edmund Stoiber sorgte vor einigen Jahren für legendäres Gelächter. Nicht nur die, aber diese ganz besonders. Warum eigentlich?


Edmund Stoiber wurde zum Symbol für einen Politiker bzw. eine öffentliche Person, die keine überzeugenden rednerischen Qualitäten vorweisen konnte. Seine „Ähms“ und legendären Versprecher haben Kultcharakter erlangt. Stoibers Äußerungen besitzen einen hohen Unterhaltungswert, was sich leicht auf youtube nachprüfen lässt. Auch andere öffentliche Personen verfügen nicht gerade über herausragende rhetorische Qualitäten, was der Allgemeinheit meist jedoch ziemlich verborgen bleibt. In Radio und Fernsehen bekommen wir in der Regeln nämlich nur das zu hören und zu sehen, was uns als verwertbares Filetstück in kurzen Minuten und prägnanten Sätzen aufbereitet wird. Das vorhandene Material wurde gekürzt, geschnitten, umgearbeitet - gängige journalistische Arbeitsweisen. Glorreiche Patzer und andere Fehltritte nutzen Comedians oder werden am Jahresende in „best of“ Sendungen abgespult. Aber gesprochene Sprache ist nun mal sehr spontan, frei formuliert, holprig, wiederholend und sprachlich nicht auf dem Niveau eines Deutsch Leistungskurses. Wer selbst schon mal ein Interview gegeben und anschließend das Gesprochene komplett zu hören bekommen hat, wird wissen, was gemeint ist. (Copyright 24.10.2013, Kerstin Pietsch, Ethnologin)

Die Offenbarung der sozialen Mechanik




Die Offenbarung der sozialen Mechanik

Inmitten eines sogenannten Sozialstaates, der durch unzählige Paragraphen geregelt scheint und in dem man gemeinhin glaubt(e), alles läuft, wie es rechtens und niedergeschrieben ist, vollziehen sich zuweilen die absurdesten und unglaublichsten Dinge.
Anhand authentischer Bescheide und Schriftstücke ist ein Theaterstück besonderer Qualität entstanden, das eine gesellschaftliche Karriere ganz nach unten skizziert und einen tiefen Einblick in das Sozialsystem gewährt.

Schauspiel: Anders Kamp
Regie: Thomas Scheffer
Szenische Lesung vom 4. Februar 2011, 20 Uhr
ACUDtheater, Veteranenstraße 21, 10119 Berlin, U-Rosenthaler Platz